„Neben meist einfachen, geometrischen Formen, verwende ich oft Texte. Fast nie sind es vollständige Sätze, vielmehr Quasisätze oder miteinander korrespondierende einzelne Worte. Ich versuche immer in einer möglichst knappen Form auf die Besonderheit des jeweiligen Ortes zu verweisen. (...) Mich interessieren dabei folgende Fragen: wie aus Erinnerungen, direkten Sinneswahrnehmungen und Vorstellungen ein Konstrukt namens „Realität“ entsteht; ob das abstrahierende Denken, die Welt der Begriffe, unseren Erfahrungshorizont erweitert oder die Sicht der Dinge deformiert und vielleicht sogar versperrt; wie die semantische und visuelle Ebene sich gegenseitig beeinflussen und ob es möglich ist sie zum Einklang zu bringen?“
Das Projekt 'Wandzeitung' befasst sich mit zwei sprachlichen Phänomenen: mit den Fahnenwörtern des ehemaligen sozialistischen Staates und mit den Werbeslogans aus der Zeit nach der Wende. Die beiden geschichtlichen Perioden haben zwei Gesellschaftsmodelle hervorgebracht, die zwar verwandt sind, doch unterschiedlicher nicht sein könnten: die Welt der DDR und die des wiedervereinigten Deutschlands in der Ära des globalisierten, freien Marktes.
Zwei Phrasentypen werden gegenübergestellt, die emblematisch beide Systeme vertreten können. Öffentliche Appelle der DDR-Zeit werden mit dem Vokabular der Werbewelt konfrontiert. In Anlehnung an die in der DDR weit verbreitete Tradition der Wandzeitung werden jeweils auf ihren Phrasencharakter zugespitzte Zitate zu einem „Maschenwerk" verflochten.
Das Maschenwerk der 'Wandzeitung' als Gegenüberstellung der beiden Räume von Sprache im öffentlichen Raum wird in den heutigen Stadtraum der ehemaligen Modellstadt Eisenhüttenstadt projiziert: als Projekt einer umfassenden Durchdringung des Stadtkörpers mit Schriftmalerei. Die 'Wandzeitung' besteht dabei aus 32 für die Wände der zahlreichen Durchgänge in der Stadt konzipierten Schriftbildern. Ein zur Ausstellung erscheinendes Buch mit fotografischen Simulationen der Schriftbilder an den Durchgängen erlaubt dauerhaft, die 'Wandzeitung' auf einem Weg durch die Stadt nachzuvollziehen.
Für die Ausstellung im Rahmen von 'Eisenhüttenstadt - Zwischen Modell und Museum' realisiert Piotr Zamosjki eine Schriftmalerei an der Wand als Aufhängepunkt und Beispiel (vgl. Abbildung). Eine im Erdgeschoß des Ausstellungsgebäudes verteilte Gruppe von Modellen der Durchgänge und in ihnen montierten Schriftbilder, die in räumlich maßstäblichem Verhältnis zueinander stehen und so die Räume des Ausstellungsgebäudes durchdringen, zeigen in der Bewegung zwischen ihnen auch die räumliche Gliederung der Durchgänge zueinander. Schablonen in originaler Größe erlauben in der Vorstellung eine realistische Projektion der Schrift auf die Wände im Stadtkörper, in der die Ausstellung, - die in einer ehemaligen Kinderkrippe gezeigt wird -, selbst verortet ist.
Die 'Wandzeitung' wird in der Ende der 40er Jahre von Herbert Thannhaeuser entworfenen und in der DDR weit verbreiteten Schriftart Technotyp entwickelt.
Piotr Zamojski: Beispiele Doppelseiten aus dem Buch 'Wandzeitung'