Oh Heilige Materie widerspreche meinem Geist

Michael Hofstetter

Bild: Michael Hofstetter


Michael Hofstetter war sowohl 2019 am Projekt Utopie Passion wie in 2021 am zweiten Teil des Projekts 'Eisenhüttenstadt - Zwischen Modell und Museum' mit einem Beitrag beteiligt. In seinem Vortrag 'Oh Heilige Materie widerspreche meinem Geist' setzt er beide Beiträge in Beziehung. Mit dieser Zusammenführung schließt auch der Kunstverein im Kloster Neuzelle seine ersten drei Projekte in ihrem Zusammenhang ab. Der Projektzyklus erkundet und erschließt den Raum zwischen den beiden Architekturdenkmälern und den mit ihnen verknüpften sozialen Modellen als einen Spielraum für zeitgenössische künstlerische Praxis und ihren Diskurs.


In Walter Benjamins "Ursprung des deutschen Trauerspiels" klebt auf Seite 214 in der Ausgabe von Michael Hofstetter ein dickes gelbes Post-It. Es ist das einzige Post-It in seiner Gesamtausgabe der Werke von Benjamin. Dort steht unter der Rubrik "Das Wort als Idee": "Die Ideen verhalten sich zu den Dingen wie die Sternbilder zu den Sternen." Diesen Satz hat Hofstetter, wie er berichtet, in seinem Unterricht mindestens schon 500 mal in die Diskussion eingeworfen, wenn die Studentin bzw. der Student damit anfingen, sie hätten folgende Idee für ihr zu machendes Kunstwerk.

Das die Würdigkeit des Gegebenen, nämlich das des Materials, Vorrang vor jeder Idee hat, ist eine Tatsache, die keinen Platz mehr beim Erstellen von Kunstwerken zu haben scheint. In der zeitgenössischen Kunst wird die eigene Idee allen nur erdenklichen materiellen Träger ohne Rücksicht aufgepresst – übrigens war das im Barock auch schon so. Die eigene "Ich" mit seiner Meinung und Weltsicht scheint heute so viel Gewicht wie noch nie in der Geschichte der Menschheit zu haben. Michael Hofstetter hat dieser Hypostasierung des eigenen Ichs letztes Jahr in Eisenhüttenstadt ein Denkmal gesetzt. Er setzte gegen den utopischen Gesamtentwurf der Planstadt, die Eingeschränktheit subjektiver Sichtweise. "Ich finde aber dass … " ist seiner Meinung nach der Satz unserer Zeit.

Für Hofstetter gibt es eine geschichtliche Linie von Platon, über den Nominalismus, über die Erfindung des Buchdrucks und der Fotografie bis hin zur Digitalität, die die eigene Weltsicht gegenüber der Welt mehr ins Recht setzt als deren Realität. Um diese geschichtliche Linie herum wird er in anachronistischer Weise eine Redearabeske malen, in der auch der Barock ebenso eine Rolle spielen wird wie der Prostestantismus. Beides Gegebenheiten, die er am Ort seiner Rede vorfindet und die für ihn einen Widerspruch bilden. Aber eines kann man jetzt schon sagen: Hofstetter liebt Widersprüche. Diese Liebe hat viel mit der Entkoppelung des Geistes vom Material zu tun.

(Sylvia Lachen für den Kunstverein im Kloster Neuzelle)